Streitgespräch Wyniger - Wälti

Online-Bericht der Solothurner Zeitung von Judith Frei vom 10.06.2025:

 

Erstmals seit 2009 findet wieder ein Wahlkampf um das Präsidium der Bürgergemeinde statt. Sergio Wyniger wurde seit 2013 stets in stillen Wahlen bestätigt. Warum greifen Sie, Matthias Wälti, den Sitz gerade jetzt an?

Matthias Wälti: Mir geht es nicht darum, Sergio Wyniger anzugreifen. Mir geht es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger wählen können. So kann ich auch eine Diskussion über die spannende und vielseitige Arbeit der Bürgergemeinde anstossen und das Interesse dafür wecken. Es geht mir um das Wohl der Bürgergemeinde.

 

Selbst Ihre eigene Fraktion steht nicht geschlossen hinter Ihnen.

Wälti: Ja, das ist richtig. So etwas ist bei der FDP leider nichts Aussergewöhnliches. Da muss man nur die Stadtpolitik anschauen. Das sollte man nicht überbewerten. Jeder weiss, dass ich antrete, weil ich einen Leistungsausweis in der Bürgergemeinde habe und nicht, weil ich ein Parteisoldat bin.

 

Sergio Wyniger war von 1989 bis 2009 Bürgerschreiber der Bürgergemeinde Solothurn. Seit 2009 ist er deren Präsident. Der 62-Jährige engagiert sich unter anderem als Präsident der kantonalen Fachkommission Bürgerrecht.

Sergio Wyniger, Sie waren nicht begeistert, als Sie von der Kandidatur erfahren haben.

Sergio Wyniger: Die Finanzen der Bürgergemeinde sind im Lot: Wir haben zum zehnten Mal in Folge einen Ertragsüberschuss erzielt. In zwei Jahren werde ich pensioniert, dann gibt es ohnehin Wahlen. Es gibt keinen zwingenden Grund, mich abzuwählen.

 

In den letzten paar Jahrzehnten war das Präsidium in den Händen der Mitte. Wäre es nicht an der Zeit, dass die FDP wieder zum Zug kommt?

Wyniger: Bei der Bürgergemeinde geht es nicht um Parteipolitik. Das Präsidium soll von der geeignetsten Person übernommen werden.

 

Sie würden sowieso gerne den Bürgerrat entpolitisieren.

Wyniger: Genau. Meine Vision ist, dass die Mitglieder des Bürgerrats nicht nach dem Parteienproporz, sondern nach ihren Fähigkeiten gewählt werden. Wir haben keine parteipolitischen, sondern nur fachliche Geschäfte.

Wälti: Ich bin auch dieser Meinung. Man hätte das allerdings schon jetzt umsetzen sollen, es gab jedoch keine Mehrheit im Rat. Wir suchen Leute für den Bürgerrat, die Freude und Interesse an der Bürgergemeinde haben.

 

Herr Wälti, was würden Sie als Bürgergemeindepräsident als Erstes tun?

Wälti: Sergio Wyniger war mit dem Bürgerrat erfolgreich unterwegs. Mir geht es nicht darum, alles auf den Kopf zu stellen. Das ist nicht nötig. Wo würde ich ansetzen? Ich würde die Dinge mit einem anderen Takt angehen und andere Akzente setzen. Ich habe auch andere Vorstellungen davon, wie die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der Region aussehen müsste. Ich würde das Pensum des Bürgergemeindepräsidenten verändern. Christoph Oetterli, Sergio Wynigers Vorgänger, hat das Amt zu 60 Prozent ausgeübt. Dann kam die Übergangsphase, in der Sergio noch Bürgerschreiber war und das Amt des Präsidenten übernahm. Damals wurde sein Pensum aufgestockt. Leider wurde es nie wieder korrigiert. Wir haben eine gute Verwaltung und fähige Bereichsleiter. Daher ist es möglich, das Amt in einem 60-Prozent-Pensum auszuführen. Als Unternehmer habe ich auch einen anderen Führungsstil. Ich würde mehr delegieren.

Wyniger: Man muss die Verwaltung als Ganzes betrachten. Als Bürgerschreiber arbeitete ich in einem 100-Prozent-Pensum und der Präsident in einem 70-Prozent-Pensum – nicht 60 Prozent, wie Matthias Wälti sagt. Jetzt ist es genau umgekehrt. Zusammengezählt haben sich die Stellenprozente also nicht verändert. Hinzu kommt: Die Arbeit nimmt zu, sie nimmt nicht ab. Ich bezweifle deshalb, dass die Aufgaben im Präsidium mit einem 50- oder 60-Prozent-Pensum erledigt werden können. Wenn künftig ein Liegenschaftsverwalter angestellt ist, ist hingegen eine Reduktion des Arbeitspensums denkbar. Übrigens hat der Bürgerrat kürzlich das Arbeitspensum auch für das zukünftige Bürgergemeindepräsidium auf 80 bis 100 Prozent festgelegt.

 

Können Sie sich vorstellen, in den nächsten zwei Jahren zu reduzieren?

Wyniger: Durchaus, ja. Ist jemand für die Liegenschaftsverwaltung angestellt, wird die Arbeitslast etwas kleiner.

Wälti: Ich bin der Meinung, dass die am höchsten bezahlte Person Aufgaben übernehmen sollte, die der Entschädigung entsprechen. Es ist daher nicht gerechtfertigt, dass der Bürgergemeindepräsident ein 100-Prozent-Pensum innehat. Hier gibt es Einsparpotenzial. Zudem stellt sich die Frage, ob der Bürgerrat mit den Aufgaben und Engagements einverstanden ist, die der Präsident erledigt. Ich habe diesbezüglich meine Bedenken. Zunächst würde ich dem Bürgerrat mitteilen, wo ich mich einbringen werde. Exgüsi, ich als Bürgerrat weiss nicht genau, was unser Bürgergemeindepräsident macht.

Wyniger: Letztes Jahr hat der Bürgerrat das neue Pflichtenheft verabschiedet. Soweit ich mich erinnere mit nur einer Gegenstimme.

Wälti: Ja, ich war dagegen.

Wyniger: Es wäre nicht richtig, die Funktion des Bürgergemeindepräsidenten nur so zu definieren, dass er zu Anlässen geht und sich dort präsentiert. Es gibt viele Aufgaben, die sind einfach Chefsache. Aus meiner Sicht reichen 60 Prozent als Pensum nicht aus.

Wälti: Mir ist es wichtig, dass man das anders sehen darf.

 

Ist die Bürgergemeinde eigentlich noch ein zeitgemässes Konstrukt?

Wyniger: Auf jeden Fall. Das gilt besonders für Bürgergemeinden unserer Grösse. Bei den kleinen Bürgergemeinden, die kaum noch Aufgaben haben und die keine Leute mehr für ihre Ämter finden, ist es ein anderes Thema. Wir haben viele verschiedene Aufgaben, die sich von denen der Einwohnergemeinde unterscheiden. Und es ist nicht so, dass die Einwohnergemeinde diese Aufgaben besser oder günstiger erledigen würde. Zudem: Diese Aufgaben müssten mit Steuergeldern finanziert werden.

 

Betrachtet man gewisse Geschäftsbereiche, so sind einige aussergewöhnlich, wie die Domaine de Soleure. Seit dem 14. Jahrhundert ist die Bürgergemeinde im Besitz des Weinguts in der Westschweiz. Heute ist das Geschäft nicht rentabel. Warum hält man noch daran fest?

Wyniger: Die Domaine de Soleure ist Teil der Identität der Bürgergemeinde. Zugegeben: Sie ist im Moment das Sorgenkind. Das liegt an der Marktsituation. Der Kreis der Kundschaft wird immer kleiner. Es wird immer weniger Alkohol getrunken und wenn, dann nicht unbedingt Wein vom Bieler- und Neuenburgersee. Wir werden deshalb die Strukturen intern anpassen. Wir haben uns beispielsweise überlegt, ob wir Teile des Reblands verpachten wollen. Dadurch könnten wir die Kosten senken. Auf der anderen Seite müssen wir den Ertrag steigern. Das heisst, wir müssen weitere Absatzmärkte finden und unsere Weine auch in anderen Regionen wie Bern, Olten und Aarau verkaufen.

Wälti: Ich bin schon seit 20 Jahren im Bürgerrat und ich höre das seit langem. Es wurde oft gesagt, dass es Zeit brauche. Ich glaube nicht mehr an die versprochenen Veränderungen. Als Selbstständiger gehe ich eine solche Herausforderung mit einem anderen Takt an. Wir stehen uns hier selbst im Weg. Die Situation zeigt, dass der schwerfällige Apparat der Bürgergemeinde ein Nachteil ist. In privaten Händen würden die Prozesse schneller laufen. Ich würde radikale Vorschläge in den Bürgerrat einbringen. Das Verpachten von Land geht mir nicht weit genug. Ich würde den gesamten Betrieb verpachten. Den Namen und das Weingut würde ich jedoch nie verkaufen. Das gehört tatsächlich zur DNA der Bürgergemeinde.

 

Neben dem bestehenden Alters- und Pflegeheim St. Katharinen ist ein Neubau geplant. Für 17,2 Millionen Franken soll das bestehende Heim auf 64 Betten erhöht werden. Herr Wälti, Sie sind ein bekennender Kritiker des Projekts und haben an der Bürgergemeindeversammlung für einen Marschhalt plädiert. Warum sind Sie erst so spät mit dieser Kritik gekommen?

Wälti: Meine Haltung gegenüber diesem Projekt hat sich nie geändert, das kann man in den Protokollen nachlesen. In meinem Arbeitsumfeld mache ich Korrekturen im laufenden Prozess. Hier in der Bürgergemeinde ist mir erklärt worden: Jetzt warte mal einen Entscheid ab. Und dann ist es zu spät, sich zu einem Geschäft zu äussern. Den politischen Entscheid, den trage ich mit. Manchmal muss man ein Projekt, in das man bereits Geld investiert hat und für sinnvoll gehalten hat, korrigieren. Dafür habe ich aber keine Mehrheit gefunden.

 

Dieser Geschäftsbereich ist nicht rentabel. Sollte man noch daran festhalten und sogar investieren?

Wyniger: Die Bürgerversammlung hat eindeutig gesagt, was sie will. Der Betrieb des Alters- und Pflegeheims ist die wichtigste soziale Aufgabe der Bürgergemeinde, auch wenn wir nicht verpflichtet sind, sie wahrzunehmen. Wenn wir das Altersheim privatisieren würden, stünde wahrscheinlich rasch die Frage im Raum, warum es die Bürgergemeinde überhaupt noch braucht.

Wälti: Das sehe ich genauso. Vorausgesetzt, man verliert damit nicht gleichzeitig viel Geld. Unser Kleinstheim verschlingt viel Geld, das muss irgendwo erwirtschaftet werden. Ich würde gerne auch ein wenig über die Finanzen sprechen. Es stehen noch grosse Ausgaben an. Wir arbeiten derzeit an einem Konzept für die Verenaschlucht, um die Sicherheit dort zu gewährleisten. Wir nehmen riesige Summen in die Hand. Das muss bezahlt werden. Die Bürgergemeinde verdient ihr Geld mit ihren Immobilien und dem Forstbetrieb.

 

Ist nicht die Hauptsache, dass die Bürgergemeinde schwarze Zahlen schreibt?

Wälti: Ich freue mich zwar über das positive Schlussresultat. Aber wir müssen uns fragen: Wofür geben wir das Geld aus? Ich bin der Meinung, dass wir das Geld nicht aus dem Forstbetrieb nehmen dürfen. In Zukunft werden dort immense Summen auf uns zukommen, wenn wir den Betrieb und die Funktion des Waldes aufrechterhalten wollen. Heute geben wir das Geld dort aus, wo wir es ausgeben müssen. Zum Beispiel im Heim oder im Weingut. Ich wünschte mir eine Diskussion darüber, wo die Bürgergemeinde ihr erwirtschaftetes Geld investieren will.

 

Wo würden Sie es investieren?

Wälti: Man muss alle Bereiche, die momentan Geld kosten, genauer anschauen. Das sind im Alters- und Pflegeheim, im Weingut und auch in der Verwaltung.

 

Der Bürgergemeinde geht es aber gut. Warum besteht Handlungsbedarf?

Wyniger: Die Bürgergemeinde ist eine öffentlich-rechtliche Institution und kein Privatunternehmen. Sie kann deshalb auch nicht wie eine Firma geführt werden – mit all den damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Trotzdem geht es der Bürgergemeinde finanziell tatsächlich gut. Einige Aufgaben kosten Geld, das wir dann an anderer Stelle verdienen müssen. Ich denke, das funktioniert gut. Was die Verenaschlucht betrifft: Für diese wird ein Sicherheits- und Unterhaltskonzept erstellt. Dabei werden auch die Kosten eruiert. Wenn diese ermittelt sind, schauen wir mit den umliegenden Gemeinden, ob sie sich beteiligen werden. Wenn nicht, kann die Bürgergemeinde immer noch entscheiden, wo sie etwas macht und wo nicht.

 

Dadurch, dass man das verdiente Geld aus dem Forstbetrieb für andere Bereiche braucht, wird der Forstbetrieb vernachlässigt?

Wyniger: Nein. Wir haben kürzlich einen neuen Forstwerkhof eröffnet. Wenn neue Fahrzeuge benötigt werden, werden sie angeschafft. In den 1990er-Jahren war das übrigens anders. Damals ging es dem Forstbetrieb schlecht. Der Rest der Bürgergemeinde hat den Forstbetrieb damals unterstützt. Man hatte sich auch überlegt, ob man Leute entlassen soll. Oder sogar Waldgebiete abstossen muss. Langfristig gesehen hilft der eine Bereich dem anderen. Und das ist auch gut so.

Wälti: Mich stört die Einstellung: Wir sind ein Betrieb und dann kommt alles zusammen und wenn die Summe zum Schluss positiv ist, dann ist alles gut. Dann wird in den einzelnen Bereichen, in denen wir strukturelle Herausforderungen haben, nicht mit gleich viel Nachdruck das strukturelle Problem angegangen. Ich habe Mühe damit, wenn man gewisse Dinge tabuisiert.

 

Zum Schluss: Herr Wälti, warum würden Sie einen guten Bürgergemeindepräsidenten abgeben?

Wälti: Ich bin eine echte Alternative für die Bürgergemeinde. Durch meine langjährige Mitarbeit in der Bürgergemeinde habe ich mir meine Sporen abverdient. Als Macher traue ich mir zu, dass ich mit den Finanzen, mit denen die Bürgergemeinde arbeitet, umzugehen weiss. Natürlich hat meine Firma nicht 80 Mitarbeitende. Aber ich kann mit dieser Thematik umgehen und Verantwortung tragen. Noch zum Zeitpunkt: Ich könnte jetzt als Bürgergemeindepräsident noch zwei Legislaturperioden absolvieren. Dadurch, dass ich mein Unternehmen gestalten kann, bin ich flexibel. Ich bin überzeugt, dass sich die Arbeitszeiten vertragen. Ich werde in einem 60-Prozent-Pensum zu 100 Prozent für die Bürgergemeinde da sein.

 

Herr Wyniger, nach 16 Jahren haben Sie immer noch die Motivation für das Amt?

Wyniger: Ja, sehr sogar. Ich bin nach wie vor mit Herzblut dabei. Ich habe viel mitinitiiert und in die Wege geleitet. Gewisse Sachen sind auf der Schlussgeraden. Da bin ich gerne noch dabei, um sie fertigzustellen. Ein Beispiel ist der oder die Immobilienverwalter/-in, der oder die bald eingestellt wird. Dann gibt es viele Projekte, bei denen ich von Anfang an dabei war, die ich gerne noch in die entscheidende Phase führen möchte. So wie die Alterswohnungen beim ehemaligen Alters- und Pflegeheim Thüringenhaus. Das ist meine Motivation.